Wie man den Indikator nutzt
Grundsätzlich gilt, dass vor allem Extremwerte der sentix Neutrality Indizes wichtige Informationen für das Timing an den Märkten liefern: Eine sehr hohe Zahl an neutralen Investoren deutet häufig auf eine akute Irritation der Anleger und künftig steigende Volatilität hin. Denn das neutrale Lager ist in der Regel von nicht oder nur gering investierten Anlegern geprägt, die zu Nachfragern oder Anbietern werden können, wenn ihre Irritation schwindet. Treten diese Investoren wieder am Markt auf, bringen sie durch ihre Transaktionen Bewegung in die Kurse und sorgen somit für anziehende Volatilität. Umgekehrt signalisieren sehr niedrige Neutrality-Werte, dass demnächst eine Phase sinkender Volatilität ansteht, weil dann die Wahrscheinlichkeit dafür hoch ist, dass die Zahl der aktiven Marktakteure in der nahen Zukunft abnimmt (vgl. hierzu Abbildungen 1 und 2).
Extreme Werte im Neutrality Index sagen darüber hinaus auch etwas über die Kursentwicklung am betrachteten Markt aus, da Extremwerte meist an Marktwendepunkten auftreten (vgl. Abb. 3). Gibt es z.B. nur noch wenige Neutrale, heißt das, dass die Anleger den Markt weitgehend verstanden haben und sich relativ sicher fühlen. Das deutet in den meisten Fällen auf eine Trendermüdung bzw. das Ende eines Trends hin – weil es in einer solchen Situation kaum noch Anleger gibt, die sich demnächst dem Bullen- oder Bärenlager zuwenden werden und somit die Kurse kaum noch von zusätzlichen Akteuren weiter in eine bestimmte Richtung getrieben werden können. Im umgekehrten Fall, wenn viele Anleger neutral eingestellt sind, ist das Entstehen eines neuen Trends ebenfalls wahrscheinlich. Denn hier ist davon auszugehen, dass die Investoren sich in der Folgezeit wieder eine Meinung über die Richtung des Marktes (jenseits einer Seitwärtsbewegung) bilden, sich also vermehrt wieder dem Bullen- oder Bärenlager anschließen und durch ihr Handeln auch die Kurse in die entsprechende Richtung treiben werden.
Gerade die kurzfristigen Neutrality Indizes können folglich als Frühindikatoren für Trendwenden bei Volatilität und Kursentwicklung eingesetzt werden, also zum Timing für den Ein- oder Ausstieg in bzw. aus einem Markt. Optimaler Weise geschieht das in Kombination mit anderen sentix-Indizes, vor allem im Zusammenspiel mit dem sentix Sentiment, dem sentix Strategischen Bias und der Anlegerpositionierung. Denn mittels dieser Indikatoren ist es möglich, stichhaltigere Aussagen über die künftige Richtung eines neuen Trends zu treffen. Dies können Neutrality Indizes, vor allem die kurzfristigen sentix Neutrality Indizes für sich genommen nicht leisten, denn sie sind per Definition richtungslose Indikatoren. Ist der aktuelle Trend an einem Markt identifizierbar, ist dieser Umstand weniger ein Problem: Zeigt sich z.B. nach einem ausgeprägten Aufwärtstrend ein Extremwert bei der kurzfristigen Neutralität, dürfte das in der Regel dafür sprechen, dass ein Abwärtstrend ansteht (Abb. 3). Doch erstens ist es bisweilen möglich, dass sich ein Seitwärtstrend anschließt. Und zweitens sind nicht immer klare Ab- oder Aufwärtstrends auszumachen. Liegt also z.B. aktuell ein Seitwärtstrend vor, kann die Richtung des folgenden Trends nicht allein mittels Neutrality-Indizes bestimmt werden. Deshalb empfiehlt es sich, sentix Sentiment, sentix Anlegerpositionierung oder der sentix Strategische Bias als konträre Indikatoren bzw. Richtungsindikatoren zu Hilfe zu nehmen, um die Richtung des kommenden Trends eindeutig herauszuarbeiten (vergleiche zu den anderen sentix-Indikatoren die entsprechenden Kompendiumsbeiträge).
Die Interpretation der Neutrality-Indizes ist für den 1-Monats- und den 6-Monat-Zeitraum – für beide liegen sentix Neutrality Indizes vor – grundsätzlich ähnlich. Deshalb gilt das oben Beschriebene grundsätzlich in verstärktem Maße, wenn auf beiden Zeitebenen Extremwerte erreicht werden.
Jedoch zeigt sich auf 6-Monats-Sicht, dass der Neutrality Index weniger stark schwankt als auf 1-Monats-Sicht. Es zeigt sich zudem, dass der mittelfristige Neutrality Index für die meisten Märkte als Richtungsindikator interpretiert werden kann. Beispiele für diese Eigenschaft der 6-Monats-Neutralität sind die entsprechenden Indizes für den europäischen sowie für den japanischen Aktienmarkt (Abb. 4 u. 5). Invertiert man hier die Neutrality-Indizes, so zeigen diese einen Vorlauf vor der Kursentwicklung. Das heißt: Sinkt die mittelfristige Neutralität in der Tendenz, steigen in der Folge die Kurse – und umgekehrt.
Wie ist das zu erklären? Da Aktienmärkte längerfristig betrachtet im Trend steigen, empfinden die Anleger Phasen steigender Aktienkurse als normal. In solchen Phasen nimmt zudem ihre Sicherheit zu bzw. ihre Unsicherheit ab. Damit sinkt dann die Neutralität. Umgekehrt nehmen Unsicherheit und Neutralität zu, wenn sich Marktschwächen ankündigen. Und möglicherweise gibt es hier bei den Anlegern, gerade an Aktienmärkten, einen bullishen Bias (Neigung), der sie daran hindert, sich dem Bärenlager anzuschließen, und dazu führt, dass sie sich (trotz Pessimismus) dem Neutralen-Lager zuordnen. In diesem Fall würde eine größere Zahl an Neutralen (unabhängig von der Zahl der Bären) bereits auf fallende Aktienkurse hindeuten, eine kleiner werdende Zahl auf steigende.
Aber auch für andere Märkte kann die mittelfristige Neutralität als vorlaufender Richtungsindikator Verwendung finden: In den letzten Jahren war hier der Zusammenhang besonders klar für USD-JPY, Bund-Future und den Goldmarkt. Die Richtung des Zusammenhangs ist dabei in der Regel davon abhängig, welche Bedeutung Unsicherheit oder Irritation, die durch Neutralität widergespiegelt wird, für den jeweiligen Markt hat. So kündigt eine steigende Neutralität am USD-JPY-Markt einen sinkenden USD-JPY-Kurs, also einen stärkeren Yen, an (Abb. 6). Denn bei steigender Unsicherheit wird in der Regel die japanische Währung gesucht. Höhere Neutralität beim Bund-Future ist mit einem steigenden Kurs für den Bund-Future verbunden, weil dieser in Zeiten höherer Unsicherheit tendenziell gesucht ist (Abb. 7). Und schließlich bedeutet eine höhere Neutralität für den Goldmarkt sinkende Preise (Abb. 8). Hier ist allerdings wie bei den Aktien zu argumentieren: Weil der Goldmarkt seit Anfang der 2000er Jahre im Trend gestiegen ist, ist auch hier eine Zunahme der Neutralen bereits als eine über den Preis spürbare Zunahme des Pessimismus zu verstehen.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Schwellenwerte, ab denen von extremen Ausprägungen des sentix Neutrality Index gesprochen werden kann, von Finanzmarkt zu Finanzmarkt verschieden sind (s. Abbildungen). Für Intermarket-Betrachtungen bzw. -Vergleiche sollten deshalb die Neutrality-Indizes in Z-Scores überführt werden.
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