15 November 2016
"Menschen machen Märkte" - Und vielleicht ist dies der Grund dafür, dass Märkte auch "grausam" sein können. Das All time-High im vielbeachteten Dow Jones Index - dem Kursbarometer in der Welt - als Reaktion auf die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten, mag sicherlich für viele Beobachter so wirken. Börsianer entdecken darin jedoch Botschaften!
Die nachfolgende Betrachtung stellt eine persönliche Einschätzung des Wahlausgangs durch den Autor unter dem Blickwinkel der Behavioral Finance, der verhaltensorientierten Kapitalmarktanalyse, dar.
Wer die Berichterstattung rund um die US-Präsidentenwahl hierzulande verfolgt hat, für den müssen beide Kandidaten fragwürdige Zeitgenossen sein. Die eine, Hillary Clinton, eine verlogene, machtgierige und durch und durch korrupte Politikerin, die gerade nur darauf wartet, die Welt mit neuen Kriegen zu überziehen. Der andere, Donald Trump, ein selbstverliebter Lügner und Rassist, der sein loses Mundwerk nicht im Zaun hält und nichts kann, außer zu provozieren.
Kein Wunder, dass unsere moralisch integren Politiker und Medien die Wahl zu einer Wahl zwischen Pest und Cholera hochstilisiert haben. Nach dieser Logik wäre es egal gewesen, wer gewählt würde: Nur das kleinere Übel bekommen zu haben, hätte Wähler und Anleger wohl nicht erfreut.
Nun ist es also der "populistische Rassist" geworden und das Entsetzen "im Establishment" ist groß. Im krassen Gegensatz dazu steht jedoch die Reaktion der Börsen: Ein Kursfeuerwerk und Allzeithoch an den US-Märkten! Ist dies der Beweis für die Untauglichkeit freier Märkte? Oder was wollen uns die Märkte damit sagen?
Parallele zum Irak-Krieg 1991
Erinnern Sie sich noch an den Ausbruch des ersten Irak-Krieges 1991? Nach der Invasion Kuwaits durch den Irak im Sommer 1990 fielen die Kurse der Aktien dramatisch. USA-geführt wurde eine Kriegskoalition geformt und am 12. Januar 1991 formal der Beschluss zur Aufnahme der Kampfhandlungen getroffen. Diese setzte die Kurse abermals unter Druck. In der Nacht zum 17. Januar 1991 begann die Operation "Dessert Storm" und die Sorgen hierüber waren vor allem in Deutschland groß. Eine Beteiligung Deutschlands an Kriegshandlungen war damals noch unvorstellbar.
Überraschenderweise reagierten die Börsen auf den Beginn der Kriegshandlungen jedoch ausgesprochen positiv. Der 17. Januar 1991 war ein sehr fester Börsentag - und das Entsetzen über die Kursgewinne bei Medien und in der Bevölkerung groß. Als zynisch wurden die Spekulanten betitelt. Das alte Börsen-Bonmot, "Kaufen wenn die Kanonen donnern", wurde zum Synonym des charakterlosen Börsianers, der sich am Leid der Menschen ergötzt, die im Krieg ihr Leben lassen müssen. Eine solche Argumentation verkennt jedoch das Wesen der Börse!
Die Börse antizipiert
Denn die Börse ist ein Antizipationsmechanismus, der permanent versucht die unsichere Zukunft zu erfassen. Die Schrecken eines möglichen Krieges wurden von der Börse daher bereits seit Sommer 1990 durch heftige Kursabschläge verarbeitet. Die Anleger haben die "Kriegskosten" nämlich schon bezahlt, als der Krieg noch gar nicht sicher war! Der Kursanstieg am Tag des Kriegsausbruchs wiederum war keine zynische Reaktion auf den Tod von Menschen, sondern die rationale Erwartung, dass nun ein Ende des Schreckens greifbar wird - und damit auch ein Ende des Leids!
Statt die Börsen zu verteufeln, hätte man auch die in den Kursanstiegen innewohnende Botschaft eines baldigen "guten Ausgangs" anerkennen können. Wer das nicht tat, hatte in der kräftigen 6-Wochen-Rally bis Anfang März möglicherweise das Nachsehen. Rund 20% Kursgewinn erzielte der DAX in dieser Zeit. Wer sich aus moralischen Gründen, aus Angst ein Kriegsgewinnler sein zu wollen, dem Anstieg verweigerte, verpasste eine große Gelegenheit.
Die Ausgangslage an den Aktienmärkten im Nachgang der Präsidentschaftswahl ähnelt in gewisser Weise der Zeit damals! Denn monatelang starrten die Anleger auf die anstehende Präsidentschaftswahl. Man hoffte, Trump (Analogie zu 1991: der Krieg) könnte nochmals abgewendet werden, auch wenn man dazu das Übel Clinton (Analogie: Saddam in Kuwait) akzeptieren müsste. Doch es formierte sich eine Koalition im Volk, die bereit war, den Wechsel zu Trump (Analogie: Erklärung des Krieges) zu vollziehen. In der Nacht zum 9. November, ein vor allem in der deutschen Geschichte besonderes Datum, passierte es dann: Trump wurde gewählt (Analogie: die ersten Bomben fielen).
Und wie 1991 zerreißt sich nun die moralisch geprägte Allianz von Politik und Medien den Mund - und die Börsen schaffen Fakten: "Zynisch und launisch", wie diese nun einmal sind, trieben die Anleger die Kurse nach anfänglichem Kursverlusten nach oben - bis auf ein Allzeithoch im Dow Jones. Was sind die Botschaften, welche die Märkte uns dieses Mal mit ihren - auf den ersten Blick nur bedingt verständlichen Reaktionen - übermitteln wollen?
Börsentechnische Chance
Erstens, zur Person Donald Trump: Aus der extrem negativen Sicht auf den neuen US-Präsidenten ergibt sich börsentechnisch eine konträre Chance. Dies zeigte sich gleich in der Rede nach seiner Wahl. Mit dieser hat er signalisiert: "Ich habe so massiv und extrem provoziert, weil ich nur so die Wahl gewinnen konnte". Man muss sich vor Augen führen, wie aussichtslos sein Unterfangen zu Beginn der Kampagne gewesen sein muss, gegen alle Widerstände - seiner Person und generell einem Außenseiter gegenüber -, es bis zum Ziel der Wahl zu schaffen. Viele nehmen jedoch seine Wahlkampfaussagen wörtlich. Würde er dies auch als Präsident fortsetzen, wäre dies in der Tat eine Katastrophe. Doch tut er es nicht, gibt es quasi Korrekturpotential.
Der Charakter eines Donald Trump kann nicht nur aus bösen Eigenschaften bestehen, sondern muss auch einige Tugenden, z.B. Disziplin, Mut und ein Gespür für Gelegenheiten umfassen. Natürlich ist er auch ein Aufschneider, ein Egomane, Selbstdarsteller und Provokateur. Aber viele andere - gerade in Spitzenämtern! - sind dies auch. Ist er ein Rassist? Wahrscheinlich, aber weniger im Sinne des Nationalsozialismus, sondern eher im Sinne eines extrem Erzkonservativen, wie es sie in den USA zuhauf gibt. Daraus abzuleiten, dass der Untergang der Welt bevorsteht, scheint doch übertrieben.
Die positive Reaktion der Märkte dürften jedoch auch mit Trumps Wirtschaftsverständnis zusammenhängen. Ein Blick in die Vita des Präsidenten Trump zeigt nämlich ökonomisch einen Hang für eine bestimmte Herangehensweise: "Nimm das Geld anderer Leute, stampfe etwas Großes aus dem Boden, lasse dich feiern - und wenn es schiefgeht, siehe zu das andere die Zeche zahlen". Gäbe es etwas Schöneres für ihn, als in jedem Kaff der USA eine Trump-Bridge, einen Trump-Tower oder eine Trump-Fabrik zu haben? Das kann er und das will er wahrscheinlich auch. Er ist unseres Erachtens ein Typ, der sicher Spaß daran hätte - wie ein Roosevelt nach der Großen Depression 1929-1932 - in die Geschichtsbücher einzugehen. Sein Konterfei, eingeschlagen in Mount Rushmore, das wäre für ihn, einen selbstverliebten Egomanen, doch sicher ein lohnendes Ziel! Uns würde dabei nicht überraschen, wenn es Trump darauf anlegen würde, vor allem privates Geld für die Finanzierung seiner Vorhaben zu mobilisieren. Anleger im zinslosen Anlagenotstand zur Finanzierung gibt es schließlich genug.
Um dies umzusetzen, braucht er aber seine Partei! Die Rede nach seinem Wahlsieg dürfte auch ein Kooperationssignal an die eigene Partei gewesen sein, welche in Senat und Repräsentantenhaus eine Mehrheit hat und Trump das Durchregieren ermöglichen kann. Trump könnte also etwas bewegen und gleichzeitig ist diese Abhängigkeit von der eigenen Partei die potentiell beste Gewähr dafür, dass sich die Energie und der egozentrische Charakter Trumps entlang etablierter Leitplanken entfalten können. Das Schlimmste, was den USA und der Welt passieren könnte, wäre ein isolierter Präsident Trump, der von allen gemieden wird und sich nur noch durch dumme Taten in der Lage sähe, auf sich aufmerksam zu machen.
Erwünschte Folgen
Kommen wir also, zweitens, zu den ökonomischen Folgen der Wahl Trumps und betrachten die Marktreaktionen seit der Wahl: Zinsen deutlich rauf, Zinskurve steiler, Rohstoffpreise und Inflationserwartungen im Anstieg. Sind das nicht genau die geplanten Wirkungen, welche die Notenbanken mit ihren sinnlosen Zinsmanipulationsunterfangen zu erreichen versuchen? Trump schafft an einem Tag, was die Notenbanken in sechs Jahren nicht geschafft haben! Gleichzeitig bewirkt er eine Erleichterung im globalen Bankensektor, auch dies etwas, was wir Anleger uns doch zuletzt so sehr ersehnt haben. Dabei sind der neue Präsident und seine mögliche Politik mehr Katalysator als Initiator. Denn die sentix-Konjunkturerwartungen befinden sich bereits seit Monaten im Anstieg und schon Ende Oktober haben wir eine "Gezeitenwende" für Renten feststellen müssen, da auch ohne Trump bereits Bewegung an der Inflationsfront entstanden war.
Behält Trump seine kooperative Linie bei, hat er eine echte Chance, den Stillstand in der Politik aufzubrechen. Zwar geschieht dies wohl zu Lasten eines schuldenfinanzierten und damit langfristig sehr kritischen Blasenwachstums. Doch genau das ist doch das, was unsere etablierten Notenbanker und Politiker insgeheim auch wollen, oder? Trump ist nun ein Verstärker und Katalysator für diese Politik. Dies dürfte sich unseres Erachtens 2017 als große Kursbelastung für die Anleihenmärkte erweisen.
Aber was passiert, drittens, in den Außenbeziehungen, in Handel und Verständigung? Trump wird nüchtern betrachten, was ihm nützt und wer ihm nützt. Damit gewinnt die pragmatische Komponente das Primat vor einem wertegetriebenen Dogmatismus. Das kann problematisch sein, wenn zwei egomanische Typen wie Putin und Trump Kompromisse zu Lasten Dritter schließen. Das kann aber auch eine Chance sein, da es an positiver Kooperation in der Welt zuletzt doch stark mangelte. Sehr wahrscheinlich erhöhen sich aber die Reibungspunkte. Einerseits dürften mehr Konflikte gelöst werden, aber andererseits einige davon nur zu unangenehm hohen Kosten! Zu diesen Konflikten mit hohem Kostenpotential könnte die Bestandssicherung oder auch das Scheitern des Euros gehören. Denn der US-Wahlausgang ist auch für die politischen Fliehkräfte in Europa ein Katalysator. In der letzten sentix Euro Break-up-Analyse hat Italien vor Griechenland die "Führung" in Sachen Austrittskandidat übernommen. Dies zeigt, dass auf Europa ebenfalls große politische Umwälzungen zukommen können.
Gezeitenwende
Als überzeugter Börsianer und Marktwirtschaftler vertraue ich auf das, manchmal auch gnadenlose Urteil der Märkte, welches sich über alle Jahrzehnte meist als treffsicherer erwiesen hat, als die Vorhersagen vieler gut verbildeter Experten. Und dieses Urteil lautet: Es findet gerade eine Gezeitenwende statt, die vor allem Besitzer von Anleihen beunruhigen muss. Sie bietet ökonomische Chancen, aber auch die reale Aussicht auf Inflation und Blasenwirtschaft.
Wie 1991 steht nun der Charaktertest für die Börsianer an: Sind wir bereit, den Marktsignalen konsequent zu folgen und die sich aus dieser Wahl ergebenden Chancen zu nutzen? Viele Beobachter und Anleger jedenfalls werden sich wahrscheinlich noch lange schwertun, die positiven Aspekte der Wahl Trumps anzuerkennen und die Chancen für einen Aufbruch zu sehen. Die vor uns liegende Zeit ist sicherlich riskant und unberechenbar. Aber wäre sie weniger riskant und berechenbarer gewesen, wenn Clinton unter republikanischer Total-Blockade regiert hätte und die Notenbanken womöglich noch Jahre in der Nullzinsfalle feststecken würden?