04 September 2015
Gastanalyse von Daniel Zindstein, Gecam AG
Eine Erkenntnis aus der Behavioral Finance (verhaltensorientierte Finanzmarktforschung) ist, dass erst wenn die Anleger Angst und Panik erfasst, eine Korrektur enden kann, da die sogenannten „schwachen Hände“ den Markt in solchen Phasen verlassen und der Verkaufsdruck nachlässt. Diese Angst konnte in der letzten August-Woche gemessen werden. Gekoppelt mit einer weiterhin guten Zuversicht, was die mittelfristigen Aussichten für Aktien anbelangt, sowie einer messbaren Abnahme der Aktienbestände institutioneller Investoren, sind erste Bedingungen für eine Beruhigung und – technisch ausgedrückt – einer Bodenbildung bei Dax & Co. gegeben.
Ängste dominieren
Angst haben die Marktteilnehmer plötzlich vor einer konjunkturellen Schwäche in China. Was sind die Auslöser? Viele sagen der Aktienmarktabsturz dort war ein Fingerzeig, andere deuten die Abwertung der chinesischen Währung als Schwächezeichen. Wir interpretieren diese Entwicklungen etwas anders: Der China-Aktienmarkt (z.B. Shanghai Composite - SSE) war zwischen Juni 2014 und Juni 2015 um 150 % (in Worten: Einhundertfünfzig) gestiegen. Dieser Anstieg war in erster Linie auf die Förderung der Aktienanlage durch die Regierung und somit einer massiven Ausweitung kreditfinanzierter Aktienkäufe zurückzuführen.
Dass solche Blasen platzen müssen, weiß eigentlich jeder. Dies hat aus unserer Sicht recht wenig mit dem Zustand der Realwirtschaft zu tun. Man könnte argumentieren, dass aber die Folgen eines Aktienmarkt-Crashs die Wirtschaft negativ tangieren, da ja 4 Billionen Dollar sozusagen vernichtet worden seien. Ja, dass könnte man, dann sollte man aber tunlichst auch die positiven Effekte des zuvor erfolgten Anstiegs herausstreichen, was die wenigsten tun. Damit relativiert sich die negative Sicht nämlich deutlich: Stand des SSE im Sommer letzten Jahres: 2.000 Punkte; Stand im Juni diesen Jahres: 5.170; Stand heute: 3.160 Punkte. Was ist passiert? Der Index notiert 58 % höher als im Sommer letzten Jahres. Ist das Ausdruck von Schwäche?
Aber wenn ein Land die Währung abwerten muss, dann ist das doch ganz sicher ein Zeichen von Schwäche, oder? Auch hier dienen ein paar Hintergrund-Informationen zur Objektivierung. Der IWF und die USA fordern seit vielen Jahren eine freiere Handelbarkeit der chinesischen Währung Yuan, die größtenteils an den US-Dollar gekoppelt war. Diesem Wunsch kam die kommunistische Regierung nach und ließ die heimische Währung zwischen 2005 und 2008 um 18 % aufwerten. Von 2010 bis 2014 wurde eine weitere Aufwertung um 15 % zugelassen, insgesamt also rund 33 % Aufwertung zum US-Dollar. Seither diskutiert die US-Notenbank FED darüber, die Geldpolitik wieder restriktiver zu gestalten und die Zinsen zu erhöhen. Folge ist eine weltweite Aufwertung des US-Dollars. Zusätzlich beförderten die japanische sowie die europäische Zentralbank die Abschwächung ihrer Währungen durch eine extrem expansive Geldpolitik (Gelddruck-Orgien).
Das heißt, unter dem Strich wertete die chinesische Währung zu allen Währungen noch stärker auf als der US-Dollar. Eine weitere Freigabe des Wechselkurses durch die chinesische Regierung – eigentlich ist es nur eine Ausweitung der täglichen Handelsspanne – führte deshalb nun zu einer Abwertung (Normalisierung) um lächerliche 4 %. Was von objektiven Beobachtern als normale Entwicklung hin zu einer vorsichtigen Öffnung der chinesischen Währung interpretiert und vom IWF begrüßt wird, sehen andere als Beginn einer Rezession, Zeichen von Schwäche oder sogar einem Angriff auf die USA (Donald Trump).
Zur Klarstellung: Wir begrüßen ausdrücklich einen freier schwankenden Yuan. Das Recht auf Abwertung der eigenen Währung, um die Exporte nicht zu belasten, hat nicht nur die USA, Europa oder Japan, sondern auch China, vor allem wenn diese Währung real und handelsgewichtet am stärksten von allen über die letzten 10 Jahre aufgewertet hat.
US-Notenbank spielt unwürdiges Theater
Wie bereits angedeutet versucht sich die US-Zentralbank (FED) darin, die Büchse der Pandora, die sie als Vorreiter der Nullzinspolitik sowie der Idee von Quantitative Easing Programmen I – III (Anleihenkäufe), geöffnet hat, wieder zu schließen. Seit knapp einem Jahr müssen sich Finanzmarktbeobachter und Investoren permanent (nahezu täglich) verbale Ergüsse diverser US-Notenbankvertreter anhören, wann denn nun eine Zinserhöhung stattfinden könnte, oder eben nicht, je nach aktueller Stimmungslage.
Seither werden positive Konjunkturdaten an der Börse oft negativ interpretiert, da sie eine Zinserhöhung befördern würden, und negative Konjunkturdaten positiv, da sie die Zinswende unwahrscheinlicher machen würden. Verkehrte Welt! Vor allem spielen uns die Notenbanker durch ihren Zickzack-Kurs und ihr heterogenes Auftreten ein für die weltweit führende Zentralbank unwürdiges Schauspiel vor.
Das allein wäre nicht so schlimm, aber es ist Ausdruck der Unsicherheit über die Stärke der eigenen Konjunktur, die Qualität des Arbeitsmarktes, die Entwicklung der Inflation und somit des geldpolitischen Kurses. Die permanente Ankündigung einer Zinserhöhung, daraufhin wieder Verschiebung einer solchen, fördern die Unsicherheit international, stärken den Dollar und verursachen eine Menge Probleme, vor allem in den Schwellenländern. Eine Notenbank die so agiert, macht sich zum Getriebenen ihrer eigenen Aussagen. Sprich, die Zinsen erhöhen zu müssen, obwohl es ökonomisch gar nicht opportun wäre.
Nur weil man es eben versprochen hat und sein Gesicht nicht verlieren will. Um nicht missverstanden zu werden. Wir sind keine Gegner einer Leitzinserhöhung, wenn die Konjunktur brummt und Inflation über Zweitrundeneffekte (Lohn-Preis-Spirale) droht. Im Gegenteil, wir begleiteten bereits die expansive Geldpolitik (inklusive Qunatitative Easing Programmen) sehr kritisch als Mittel zur Konjunkturbelebung. Um es kurz zu sagen, strukturelle Probleme (verkrustete Arbeits- und Produktmärkte, Bürokratie, Staatswirtschaft, etc.) löst man nicht durch Gelddrucken, sondern über Reformen.
Expansive Geldpolitik kann im Idealfall nur zyklische Konjunkturschwankungen glätten und Zeit für Reformen erkaufen, aber diese nicht ersetzen. Wir sind aber nun einmal in einem Null-Zins-Regime, das, weil es nicht mehr wirkt, sogar noch durch aktives Geld drucken ergänzt wird (Europa) bzw. wurde (USA). Gleichzeitig wurde die Verschuldung massiv nach oben gefahren (US-Staatsverschuldung seit 2008 + 78 %, Konsumentenkredite wieder auf dem Niveau von 2007, etc.). Ohne Not in einer solchen Situation die Zinsen zu erhöhen, nur um sie in der Zukunft wieder senken zu können, halten wir für gewagt.
Nichtsdestotrotz wünschen wir uns eine Zinserhöhung, nur damit dieses Thema endlich als Belastungsfaktor für die Märkte wegfällt. De facto spielt es ökonomisch nur eine untergeordnete Rolle, ob der US-Leitzins bei 0 oder 0,25 % notiert. Viel wichtiger für die US-Wirtschaft ist die Entwicklung des Dollars und der Aktienmärkte. Der starke US-Dollar belastet die Umsätze und die Gewinnmargen der großen, international agierenden US-Konzerne deutlich spürbar. Auch die jüngste Korrektur der Aktienmärkte bremst die Konjunktur. Wenn man bedenkt, dass die Marktkapitalisierung des gesamten US-Aktienmarktes Anfang August bei knapp 20 Billionen Dollar lag, so kostete eine Korrektur um 10 % rund 2 Billionen (2.000 Milliarden) Dollar an Kaufkraft. Da braucht es keine Zinserhöhung mehr…
Technische Risiken
Unabhängig von Geldpolitik, China, Griechenland oder sonstigen Themen, die uns bewegen mögen, zeigen uns die Charts der internationalen Aktienmärkte, wo kurzfristig die Risiken liegen. Fakt ist, dass durch die Korrekturen im August - ob diese in der zukünftigen Nachbetrachtung nun als gesund (China), überfällig (USA) oder als Schlusspunkt eines bereits jahrelangen Kursrückganges (Emerging Markets, Rohstoffe) interpretiert werden mögen – doch sehr viel Porzellan zerschlagen haben.
Wichtige charttechnische Marken wurden durchbrochen, langfristige Aufwärtstrends durchschlagen, Geld vernichtet, Vertrauen zerstört. Um dies wieder zu heilen braucht es Zeit. Normale menschliche Verhaltensweisen, die auch die Märkte prägen und im Nachhinein an den Kursmustern abzulesen sind, führen einfach dazu wenn es fällt zu verkaufen, um Verluste zu begrenzen oder Gewinne zu schützen.
Obwohl jeder weiß, dass Crashkurse strategisch immer die besten Kaufkurse waren. Aber Finanzmärkte funktionieren anders als die Realwirtschaft. In letzterer steigt die Nachfrage wenn´s billiger wird und umgekehrt. An den Finanzmärkten verläuft es konträr, hier geht man raus wenn´s fällt und rein, wenn bereits schon kräftige Steigerungen zu verzeichnen sind, aber Investments nicht mehr günstig sind – wiederum verkehrte Welt!
Es wäre blauäugig zu meinen, dass der jüngste Kurssturz bereits in wenigen Tagen Geschichte ist, dafür waren die Einschläge zu stark und die zeitlichen Dimensionen der Korrektur, vor allem in den USA, zu kurz. Wichtig ist, dass man verinnerlicht, dass jene Anleger gut beraten sind, die strategisch denken, kaufen wenn es günstig wird, also in Übertreibungen nach unten, wenn alle anderen verkaufen. Natürlich verbunden mit der Bereitschaft auch längere Zeit zu warten bis wieder Vertrauen in die Märkte zurückkehrt. In dieser Rationalität kann man die nächsten Wochen, wo evtl. nochmals die bisherigen Tiefs der Aktienmärkte ausgelotet werden und vielleicht sogar unterboten werden, aktiv als Chance nutzen, ohne von Emotionen oder Ängsten benebelt zu werden.
Frei nach Warren Buffett sind fallende Kurse die besten Freunde eines langfristigen Investors.