03 October 2011
Viel ist in diesen Tagen von Ansteckungseffekten die Rede. Die Politik vergrößert Rettungsschirm um Rettungsschirm, um andere Euro-Länder vor einer Ansteckung zu schützen. Es besteht die Furcht, dass das griechische Überschuldungs-Virus auf andere Länder übergreift. Deshalb soll mit noch mehr Garantien eine Abschirmung von in Verruf stehender Staaten stattfinden. Doch diese Logik steht auf ganz schwachen Füßen und zwar deshalb, weil genau diese Rettungspolitik die Ansteckung vorantreibt.
Was ist die Ausgangslage der einzelnen Euro-Staaten: mehr oder weniger sind alle Euro-Staaten hoch bis zu hoch verschuldet. Griechenland stellt "nur" das mit Abstand größte Schuldenproblem dar, da es nicht nur mit rund 165% des BIP in der Kreide steht, sondern zudem - wie es so schön im Wirtschaftsdeutsch heißt - über kein "Geschäftsmodell" verfügt.
Nun soll also Griechenland "abgeschirmt" werden und dazu geben andere Länder Garantien entsprechend ihrem Anteil an der Euro-Wirtschaftsleistung ab. Doch hier irrt die Politik zum ersten Mal: denn während sich die Politik die Garantien schön redet und meint, dies seien keine echten Ausgaben, geht der Markt - meiner Meinung nach zu Recht - davon aus, dass die für Griechenland garantierten Beträge effektiv verloren sind.
Und deshalb addiert der Markt die jeweilige Garantiesumme zu den Schulden der garantiegebenden Staaten hinzu. Sehr früh, nämlich bereits Anfang diesen Jahres, erkannte man, dass es keinen Sinn macht, wenn die in Not geratenen Staaten für ihre eigenen Garantien einstehen. Man umschrieb es dann schön mit den Worten, dass es eine Differenz zwischen der Größe des Rettungsschirms (nach der EFSF-Erhöhung beträgt diese nun € 780 Mrd.) und der "effektiven Ausleihkapazität" (nun € 440 Mrd.) gibt.
Auf Italien entfallen nun also rund 20% dieser 780 Mrd. Euro und der "böse" Markt addiert demnach rund € 150 Mrd. auf die ohnehin hohe italienische Staatsschuld. Klar, dass der Markt sich Italien zu verweigern beginnt. Selbst eigentlich noch robuste Staaten wie Frankreich drohen bei einer solchen Vorgehensweise zu "kippen".
Faktisch besteht nun die Gefahr, dass sich die Ratings weiterer Staaten verschlechtern und diese ebenfalls nicht mehr für die Ausleihkapazität des EFSF zur Verfügung stehen. Mit dem Ergebnis, dass der Anteil der verbliebenen Retter-Staaten steigt und diese letztlich selbst zu Notfällen werden. Man stelle sich vor, wie es um die Solvenz Deutschlands bestellt wäre, wenn wir die kompletten € 440 Mrd. schultern müssten?
Der Kernpunkt ist der: wenn die garantierten Verbindlichkeiten von Griechenland und Co. werthaltig wären, würde ein entsprechender Garantieschirm die derzeitige Schuldenspirale beenden können, denn in diesem Fall wäre der Markt zu Unrecht negativ auf die Euro-Staaten eingestellt. Doch wenn die in Frage stehenden Schulden tatsächlich wertlos sind und die Retter selbst schon sehr geschwächt sind, dann ist das Spannen von Rettungsschirmen der Treiber der Ansteckung. Die derzeitige Politik wird demnach mit hoehr Wahrscheinlichkeit zu einer dramatischen Eskalation der Krise - zumindest auf mittelfristiger Sicht - führen. Alles begann mit "wertlosen" Schulden Griechenlands von ca. € 300 Mrd. Euro. Entstehen wird ein Flächenbrand.
Die Politik begründet ihre derzeitige Vorgehensweise auch gerne damit, den sogenannten Lehman-Punkt zu verhindern. Doch die Rettung Griechenlands bzw. das Scheitern ist mit Lehman nicht zu vergleichen. Gerade weil Griechenland ein kleines Land ohne allzu große Verflechtungen in die Weltwirtschaft ist, wäre hier eine Umschuldung nicht nur ökonomisch angebracht, sondern auch durchführbar. Eine solche Umschuldung würde m.E. auch nicht einen Austritt aus dem Euro zwingend gebieten. Wir beenden ja auch nicht den Euro, wenn ein großes Unternehmen Pleite geht.
Aber eine solche Maßnahme würde natürlich den Machtverlust der Regierung in Athen bedeuten und unangenehme Fragen für alle anderen Euro-Regierungen bedeuten. Denn die bislang verschleppte Rettungstaktik hat die Kosten für den Steuerzahler massiv erhöht, da sich bereits viele Gläubiger aus dem Anleihemarkt verabschiedet haben (und die Bonds bei der EZB abgeladen haben) und die bereits längst begonnene Kapitalflucht innerhalb der EZB die Targetsalden derart beeinflusst haben, dass hier im Falle einer Griechenland-Insolvenz zusätzlich erhebliche Abschreibungen entstehen dürften.
Psychologisch dominiert damit der "sunk cost effect", der es den Menschen erschwert, von einem Verhalten abzulassen, welches sich zu einem großen Verlust ausgeweitet hat. Getreu dem Motto: "wir haben jetzt schon so viel verloren, wir müssen nun noch mehr investieren". Der Volksmund weiß, dass man schlechtem Geld kein gutes hinterher werfen soll. Doch Verlustbegrenzung fällt nicht nur Börsianern schwer. Erinnert sei zum Beispiel an den Vietnam-Krieg, den die US-Regierung erst aufgab, als er nicht mehr finanzierbar war - und nicht bereits dann, als absehbar war, dass er militärisch nicht mehr zu gewinnen war.
In Kriegsoperationen gilt der weise Ausspruch: "bevor du reingehst, musst du wissen wann und wie du wieder rauskommst". Dieser Grundsatz wurde in Vietnam verletzt und er wird es derzeit wieder in Afghanistan und im Irak. Alle diese Operationen fordern enorme Opfer, sind nicht mehr zu gewinnen. Auch sie werden erst unter enormem ökonomischen Druck beendet.
Wie kommen wir aber nun aus diesem "Krieg der Euro-Rettungspolitiker gegen den Markt" wieder heraus?
Die Antwort der Politik heißt nun: "hebeln". Die Politiker könnten auch sagen: "wollt ihr den totalen Krieg"?
Eine solche "Hebelung" hätte vordergründig den Charme, dass die Politik in die Lage versetzt würde, bei einem beispielsweise 5-fachen Hebel den Markt mit einer Kaufkraft von € 2.000 Mrd. zu beeinflussen. Das wird natürlich zunächst jede Spekulation gegen die Euro-Staaten im Keim ersticken. Doch der Konstruktionsfehler liegt simpel darin, dass damit der Schiedrichter ins Spiel eingreift - die Politiker entscheiden über die Werthaltigkeit der von ihnen selbst verursachten Schulden.
Da Politiker im Allgemeinen nicht dazu neigen, mit dem Geld anderer Leute verantwortungsvoll umzugehen, wird damit jegliche Schuldenmoral im Kern untergraben. Man stelle sich vor, jeder Schuldner könnte die Werthaltigkeit des eigenen Kredites bestimmen? Mister Ponzi lässt grüßen.
Nie und nimmer wird damit Schuldnerdisziplin einkehren. Es wird immer Gründe für die Politik in jedem Land geben neue Schulden zu machen - und dank des Super-Rettungsschirms werden die Marktpreise so verzerrt, dass am Ende sogar die Politiker glauben, ihre Schuldenpolitik wäre "solide".
Wehret den Anfängen - dies gilt in Sachen Euro-Rettung wie selten zuvor. Die angebliche Ansteckung im Euroraum wird nicht durch die Rettungsschirme bekämpft, sondern die Rettungsschirme sind die Ursache für die Ansteckungseffekte. Und über einen gehebelten EFSF dürfte die Märkte zwar anfänglich jubeln, es wäre wohl aber der endgültige Startschuss für den vollständigen ökonomischen Niedergang Europas und das Ende des Euros.
Wenn sich dann gegen Ende des Prozesses einzelne Staaten diesem Irrsinn verweigern und die völkerrechtlich bindenden Wirkungen der heute zur Abstimmung stehenden Verräge ablehnen, dann in der Tat kann das Scheiterns des Euros sogar eine Frage von Krieg und Frieden werden.
Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ein Parlament Entscheidungen mit großer Mehrheit trifft und bejubelt, die es später bitter bereut.