27. September 2012
Der Geschwindigkeitswahn an den Börsen entfacht die Regulierungswut unserer Politiker. Wie so oft bei ähnlich gelagerten Fällen ist die Absicht ehrenwert, dass Ergebnis aber absehbar zweifelhaft. Die Suche nach den Schuldigen wird nicht gründlich geführt. Denn das eigentliche Problem sind die Börsen selbst!
Keine Frage: Der computergestützte Hochfrequenzhandel ist so unnötig wie ein Kropf. Warum Maschinen in Sekundenbruchteilen Milliarden hin und her handeln müssen, erschließt sich auch mir nicht.
"Because they can"
Warum werden solche Algorithmen entwickelt und angewendet? Weil es möglich ist. Zwei Typen von Systematiken sind dabei besonders beliebt. Zum einen der Handel auf das Marktmomentum. Hier nutzen Programme absehbare Marktungleichgewichte aufgrund des sog. Momentumeffektes. Treffen neue Informationen auf den Markt, springen Händler und Investoren oftmals kopflos in den Markt und verursachen eine "Bugwelle". Wer die neue Information (und die wahrscheinliche Marktreaktion) am schnellsten antizipiert, kann ein sog. "legales frontrunning" betreiben.
Zum anderen gibt es aber auch Algorithmen, die auf das Abebben der Bugwelle setzen, sich also gegen das Momentum positionieren und damit auf eine Rückkehr zum Mittelwert spekulieren. Beide Algorithmen-Typen verhalten sich demnach nicht anders, wie sich kurzfristig orientierte Händler und Market Maker schon immer verhalten haben, nur eben schneller. Sie sind "liquidity provider", schaffen also Marktliquidität. Und da es verschiedene Typen von Algorithmen gibt, mögen sie in dem einen Fall Bewegungen verstärken, im anderen Fall führen sie aber auch zu einer Rückkehr zum Gleichgewicht.
Legales (?) Frontrunning
Das eigentliche Problem liegt aber woanders. Hierbei geht es um die Frage, wer die Möglichkeiten für diesen Algo-Handel und damit das superschnelle Ausnutzen neuer Informationen ermöglicht hat.
Wenn beispielsweise ein neuer Konjunkturreport erscheint, der an den Märkten als marktbewegend gilt, ist es mitentscheidend über Gewnn und Verlust, diese Information als Erster zu kennen, zu bewerten und umzusetzen. Die meisten Anleger hegen die hehre Vorstellung, dass solche marktbewegenden Informationen (die dadurch potentielle Insidertatbestände darstellen!) allen Marktteilnehmern, beispielsweise über die Kurssysteme) zeitgleich zur Verfügung gestellt werden. Ebenso sollte es sich mit dem Orderbuch der Börse verhalten. Es sollte für alle Marktteilnehmer zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen zur Verfügung stehen.
Dem ist aber nicht so. Die einstmals als öffentliche Einrichtungen gegründeten Börsen sind seit vielen Jahren rein privatwirtschaftliche Veranstaltungen. Und als Wirtschaftsunternehmen steht auch hier die Gewinnmaximierung als Teilziel auf dem Programm. So kommt es, dass man nun bei den Börsen einen bevorzugten Zugang zu Informationen und zur Handelsplattform erhalten kann. Ein Algotrader mit entsprechendem Kleingeld kann demnach seine Server direkt neben die Server der Börse stellen und erhält so einen zeitlichen Vorsprung, einen bevorzugten Zugang zur Handelsplattform und zum Orderbuch. Die Börse organisiert also bewusst eine Inbalance im Markt zur Steigerung des eigenen Gewinns.
Zudem bemühen sich manche Börsen zusätzlich, auch Daten und Informationen von marktbewegenden Informationen so schneller an eine ausgewählte Kundschaft zu transportieren, die diese dann - quasi im Nanonsekunden-frontrunning - mit Hilfe der Börsen gewinnbringend umzusetzen versuchen. Die Handelsplätze, die als erste unter der wachsenden Instabilität aus dem Hochfrequenzhandel leiden würden, sind demnach wesentliche Triebfedern in dem Spiel - zu Lasten ihrer anderen Kunden und der Allgemeinheit.
Der Hebel zu einer Eindämmung müsste demnach genau hier angesetzt werden. Vor den Anlegern gehören die Börsen besser reguliert und beaufsichtigt!