20. April 2020
An den Ölmärkten erleben wir seit Ausbruch der Coronakrise seltsame Dinge. Erst meinten die Saudis die Förderung erhöhen zu müssen und schickten die Ölpreise auf Talfahrt. Doch heute nun in den USA der totale Absturz: minus 38 USD für ein Faß Öl. Der wichtigste Rohstoff der Welt kostet nichts mehr, nein, man bekommt Geld, wenn man ihn abnimmt. Diese Entwicklung bringt so manchen Marktbeobachter völlig aus dem Konzept.
Wie immer, wenn an Märkten überraschende Dinge passieren, erwarten die Marktteilnehmer Erklärungen. Wirtschaftsjournalisten berichten eifrig und schnell und helfen so ihren Lesern, wichtige Entwicklungen einzuordnen. So auch an diesem denkwürdigen Tag, an dem die Ölpreise der Sorte WTI (leichtes US-Öl) binnen Stunden von plus 20 USD auf minus 38 USD fielen. Wie immer lautet die von den Medien gestellte Frage: Warum?
In der Süddeutschen finden sich denn auch schon um 21.17h ein erklärender Beitrag. Darin wird eine steile These aufgestellt:
"Im Klartext: Ölproduzenten mussten dafür zahlen, dass ihnen überhaupt noch jemand den schmierigen Rohstoff abkauft."
Ist doch klar: Wenn Preise fallen, war das Angebot dominant zur Nachfrage. Und Angebot, das sind doch die Produzenten, oder? Hier irrt jedoch der Autor. Schauen wir uns einmal die Marktpositionierung im WTI-Future-Kontrakt an. Zur Lieferung im Mai krachten heute die Preise zusammen. An den NYMEX waren die Non-Commercials, also eben nicht die Produzenten sondern Konsumenten und Spekulanten, mit 511.000 Kontrakten long investiert, also auf steigende Preise positioniert. Deren Long-Position ist nun in Schieflage geraten.
Denn bei Verfall des Futures im Mai, müssten diese Spekulanten riesige Mengen von Öl abnehmen, für die es aber keine Abnehmer in der Realwirtschaft gibt. Bleibt als Lösung also nur, den Kontrakt in die Zukunft weiterzurollen. Doch wer will stattdessen das Öl geliefert bekommen, wenn derzeit Corona-bedingt viel zu wenig Öl verbraucht wird? Man müsste es lagern. Nur wo, wenn die Lager voll sind? Früher hat man dies auf Tankschiffen zum Teil machen können, doch die fahren ja jetzt zum Teil auch nicht mehr.
Das Problem, lieber Autor, haben nicht die Produzenten! Die sind short und haben das Öl bereits früher auf Termin verkauft. Sie haben damit einen Abnahmeanspruch gegenüber den Spekulanten. Die Spekulanten haben das Problem, sie haben eine Abnahmeverplichtung.
Die Lösung des Dilemmas kann derzeit m.E. nur sein, so schnell wie möglich die Bohrlöcher zuzudrehen. Damit könnten die Produtenten die Spekulanten "entlasten", indem Sie Ihnen die Kontrakte für einen negativen Preis (!) zurückkaufen können. Vielleicht ist dies auch der grund dafür, dass die Aktien von Öl-Produzenten in den USA heute vergleichsweise wenig verlieren.
Tatsächlich ist die Zahl der aktiven Bohrlöcher seit 13. März von rund 800 bereits auf aktuell 529 gesunken - und dies in Rekordgeschwindigkeit. Allerdings ist dieser Wert wohl immer noch zu hoch. Im letzten Öl-Crash-Tief 2016 waren nur noch rund 400 Bohrlöcher in den USA aktiv.
Weiter heißt es in dem Artikel: "Auffällig ist jedoch, dass der amerikanische WTI-Ölpreis dieser Tage deutlich stärker sinkt als der Preis der Schwestersorte Brentöl, die vor allem in Europa tonangebend ist."
Kein Wort nun darüber, dass WTI im Wesentlichen nur in den USA raffiniert werden kann. Brent dagegen kann wie Saudi-Schweröl fast überall auf der Welt verarbeitet werden. Zudem wird in Brent weniger viel weniger spekuliert! Hier sind die Spekulanten derzeit nur mit rund 67.000 Kontrakten long, einem der niedrigsten Werte (!) seit 2011. Stattdessen zitiert der Autor einen Öl-Experten, der mit keinem Wort die Marktverhältnisse an den Future-Märkten erwähnt.
In Tagen wie diesen, sollten Investoren sich immer wieder bewusst machen, dass der Preis von Öl und der Wert von Öl nicht das Gleiche sind. Bestenfalls hat der Markt heute den Wert einer Öl-Fehlspekulations-Position korrekt bewertet. So wie VW 2008 nicht das wertvollste Unternehmen der Welt war, als durch eine außer Kontrolle geratenen Spekulation in VW-Optionen der Preis bis auf 1.000 Euro schoß, kann der "Wert" von Öl niemals negativ sein. Der Preis halt schon.
Aber das ist an einem Tag wie heute, der in die Finanzgeschichte eingehen wird, eigentlich auch wieder egal.