Liquid Feedback

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Marina Weisband, eine der „Stars" der Piratenpartei, wurde heute vom Handelsblatt geadelt und durfte einen Gastkommentar prominent auf der letzten Seite veröffentlichen. Darin führt sie aus, wie die Piraten ihre politischen Überzeugungen erarbeiten. „Liquid Feedback" heißt dazu das verwendete Verfahren.

Die Piratenpartei ist ein neues, interessantes Phänomen in der deutschen Parteienlandschaft. Eines, das von den etablierten Parteien offensichtlich überhaupt noch nicht verstanden wird. Und dies hängt ganz wesentlich damit zusammen, dass die Piraten eigentlich nicht wirklich eine neue Partei darstellen, sondern vor allem einen alternativen Politikentwurf.

Meine nachfolgenden Betrachtungen schließen an den letzten Blogbeitrag „Kollektive Intelligenz" an. Denn die dort in den Interviews dargestellten Entwicklungen sind hochkorreliert mit dem Phänomen Piratenpartei.

Die wesentliche Grundaussage in dem Kommentar von Frau Weisband ist, dass die Piraten sich ihre Grundüberzeugungen basisdemokratisch erarbeiten und bei neuen Fragestellungen die Bevölkerung aktiv in den Diskurs einbinden wollen. Transparenz und Partizipation sind die Schlagworte und stellen gleichzeitig die wesentlichen Eigenschaften des Social Web von Facebook und Co. dar. Das funktioniert natürlich nur so lange, wie (a) keine Machtstrukturen etabliert sind und (b) keine politischen Grundüberzeugungen gefunden sind. Denn nur so lange macht das Mitdiskutieren und Mitgestalten allen Spaß.

Zu wesentlichen Fragen unserer Zeit hat die Piratenpartei noch keine Antworten gefunden. Bisherige „Ergebnisse" deuten auf eine eher „linke" Gesinnung der Mehrheit der Piraten hin, was auch bei der letzten wichtigen Parteigründung in den 80er Jahren, den Grünen, der Fall war. Dies verwundert auch nicht weiter. So entstehen wichtige politische Bewegungen doch ohnehin eher in Zeiten wirtschaftlicher Not und tragen daher meist ein „sozialistisches" Antlitz.

Wenn zu wichtigen Fragen eine politische Überzeugung gefunden wäre, stünde die Umsetzung in die Realität für die Piraten auf der Agenda. Hierzu bedarf es Macht – und diese muss von Leuten ausgeübt werden, die auch Macht ausüben wollen! Ob sie wollen oder nicht: auch die Piraten müssen letztlich Leute an die Spitze beordern, die Alphatiere sind und sein wollen. Ein Sprachrohr „Web" alleine wird nicht genügen. Gleichzeitig müssen diese politischen Akteure verlässliche Vertragspartner sein. Dies wiederum setzt ein Mindestmaß an politischer Kontinuität voraus. Im Laufe der Zeit werden die gefundenen Überzeugungen also doch zu einer gewissen Verortung im bestehenden Meinungs-Spektrum führen und es damit zur Ausbildung von Machtstrukturen kommen. Dann wären die Piraten entzaubert, da sie, wie einst die Grünen, in der „politischen Landschaft angekommen wären".

Die Piraten glauben, dass Ihnen dies nicht passieren wird. Unter anderem soll dies durch eine Art von sozialer Hygiene verhindert werden. Alle aktiven Piraten achten auf das Machtgehabe der aktuell Vorderen und sanktionieren „Fehlverhalten" durch entsprechende „shit storms", Protestwellen im Netz. Bislang funktioniert das einigermaßen wie erwartet. Doch mit steigenden Mitgliederzahlen wird es immer schwieriger werden, die aktive Teilhabe und Transparenz aufrechtzuerhalten. Schon bei dem letzten Parteitag waren die Schlangen endlos um einen Redebeitrag zu platzieren. Physische Diskussionen werden entweder scheitern oder eine organisierte Selektion erzwingen. Spätestens dann beginnt der Weg in die Zweiklassengesellschaft in der Partei.

Aber auch im Netz werden sich schnell Rädelsführer ausbilden, die den größten Teil des Traffics auf sich ziehen und damit zu Meinungsführern werden. Es ist das Prinzip des „winner takes it all", welches das Web dominiert. Niemand kann alle Beiträge von allen Aktiven verfolgen. Das soziale Web „sortiert" die beliebten von den unbeliebten Beiträgen und spült diejenigen nach oben, die von Sympathieträgern gepostet werden oder den „Nerv der Zeit" treffen.

Hier kommt ein weiterer Aspekt zum Tragen. Würde es die Piratenpartei tatsächlich schaffen, ständig Diskussionen in einer breiten Gesellschaftsschicht aufrechtzuerhalten, so geht dies nur mit einer gehörigen Portion Populismus und mit einer Hingabe an die „Stimmung des Tages". Dies wiederum würde aber sämtliche Grundüberzeugungen permanent in Frage stellen. Hier gibt es eine interessante Parallele zu den Kapitalmärkten, bei denen diese Situation tagtäglich gegeben ist. Und hier zeigt sich auch, wie schwierig es den Menschen fällt, ihre Grundüberzeugungen gegenüber den Tagesschwankungen der Gefühle zu bewahren.

Was also sind die Piraten? Warum sind sie so beliebt und was ist ihre Innovation? Ein Teil der Beliebtheit speist sich sicher aus einem allgemeinen Unmut gegenüber der Politik. Ein anderer Teil ist auf den frischen Wind zurückzuführen, den ihre Vertreter durch Ausstrahlung und Auftreten in der biederen Politiklandschaft erzeugen. Dies war bei den Grünen in den 80er Jahren übrigens ähnlich. Auf diesem Level scheinen die etablierten Parteien auch die Piraten zu bewerten. Und wäre dies alles, würde das Phänomen nicht sehr weit kommen.

Doch die Piraten bieten mehr. Ihre Forderungen nach Transparenz und basisdemokratischer Machtausübung sind es nicht. Auch dies sind ur-grüne Forderungen. Was die Piraten jedoch „mitbringen" ist das Technikverständnis und die Infrastruktur des sozialen Netzes, die diese Forderungen umsetzbar erscheinen lassen. Sie machen einen Vorschlag, wie Machtausübung in Zeiten der sozialen Netzwerke aussehen könnte und stellen eine Antwort auf die Thesen von Prof. Kruse (siehe Videos aus dem letzten Blog) dar.

Am Ende könnten die Piraten in die Geschichte eingehen. Nicht als erfolgreiche Partei, sondern als Pioniere neuer basisdemokratischer Verfahren.

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