Eine zweite Tulpenmanie

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Wiederholt sich die Geschichte? Nein, das tut sie niemals ganz exakt. Aber Geschichte reimt sich. Und so verwundert es nicht, dass wir immer wieder Zeugen finanzieller Dummheiten werden. Börsenblasen kommen und gehen. Immer sind sie ein Spiegelbild des jeweiligen Zeitgeistes und führen dazu, dass bestimmte Anlagen so sehr in Mode kommen, dass ihr Wert jedes Maß von fundamentaler Rechtfertigung übersteigt. Die Internet-Blase Ende des letzten Jahrtausends war ein solches Beispiel manischer Verzückung – mit bekanntem Ausgang. Damals machten Anekdoten von der Tulpenmanie im Holland des 17. Jahrhunderts die Runde.

Während die einen damals Parallelen zu der Mutter aller Spekulationsblasen zu erkennen glaubten, verwiesen andere darauf, dass die Internetkonzerne der damaligen Zeit weit werthaltiger seien, als eine Tulpenzwiebel. Wir können es uns heute nicht mehr vorstellen, dass weite Teile einer ansonsten durchaus wirtschaftlich erfolgreichen Nation so verrückt sein konnten, für eine einzige Tulpenzwiebel den Wert eines Hauses einzusetzen. Fragt man heute Nachbarn, Freunde oder Kollegen, ob sich so etwas wohl wiederholen könnte, erntet man bestimmt nur ein Kopfschütteln. Der Mensch des 20. Jahrhunderts ist doch weit aufgeklärter als seine Vorfahren. Ist er es wirklich?

Semper_Augustus_Tulip_17th_centuryHieran darf ernsthaft gezweifelt werden. Denn wir erleben möglicherweise gerade den Beginn einer zweiten Tulpenmanie! Dabei nimmt die Rolle der „Semper Augustus", der schönsten aller Tulpen, ein Instrument des heutigen Zeitgeistes ein: man nennt es „bitcoin". Was Bitcoins sind und was wir grundsätzlich davon halten, haben wir in einem früheren Blog aus dem Jahr 2011 bereits ausgeführt. Bitte lesen Sie diesen Beitrag zunächst noch einmal, denn wir bauen im Folgenden darauf auf und das damals Gesagte hat unverändert Gültigkeit.

Warum sehen wir diese Bitcoins als Reinkarnation des Tulpenwahns von damals? Weil beide, im Lichte der Rückschau betrachtet, als wertloses Instrument gesehen werden dürften und sich die Welt fragen wird, wie so viele Menschen so dumm sein konnten, für ein paar Bytes an virtuellem Quellcode so viel Geld zu bezahlen. Aktuell sind es rund 100 US-Dollar, die ein Bitcoin „wert" sein soll. Und er könnte durchaus im Wert steigen, denn diese Manie scheint gerade erst zu beginnen! Und da in einer ordentlichen Manie der Preis vom „größeren Dummkopf" bestimmt wird, kann sich der Kurswert dieses Instruments noch weiter steigern. Dummheit kennt schließlich keine Grenzen. Doch wehe, die Dummheit wird den Handelnden bewusst. Dann brechen die Preise so schnell ein, dass der Totalverlust quasi über Nacht eintreten dürfte.

Die Fans der Bitcoins betrachten diese als das Geld der Zukunft. Da stellt sich die Frage: Was ist eigentlich Geld? „Geld ist was gilt" lautet eine alte Bankerweisheit. Das bedeutet, dass als allgemein gültiges Tauschmittel nur in Frage kommen kann, was allgemein anerkannt ist. Hierbei sollte man sich durchaus die Erfahrungen der Menschheit der letzten 10.000 Jahre in Erinnerung rufen. Danach „galt" zu allen Zeiten das physisch-reale (Sachwerte, Produktivkapital, Nahrungs- und Genussmittel) als Währungsersatz. Diese Güter haben einen „intrinsischen" Wert, der sich aus seinem Nutzen bemisst. Bitcoins geht dieser intrinsische Wert ab. Im Gegensatz zu einer Tulpenzwiebel des Mittelalters kann man Bitcoins noch nicht einmal braten; der Nährwert ist Null.

Aber dies ist nur eine Facette und erklärt lediglich warum beispielsweise Zigaretten durchaus schon als Tauschmittel in Mode waren, Sandkörner jedoch noch nie. Diese Facette erklärt nicht, warum Gold und Silber in der Menschheitsgeschichte so beliebtes Geld waren und sind. Dies erklärt sich erst dadurch, dass Edelmetalle andere Eigenschaften besitzen, die ebenfalls einer Sache den Status von „Gilt", eh Geld, verleihen.

Erstens sind sie selten. Sandkörner sind es nicht. Zweitens lassen sie sich gut portionieren und zu Münzen, Barren und anderem weiterverarbeiten. Sie lassen sich beliebig oft einschmelzen und umformen – und bleiben doch immer was sie waren. Sie sind also einfach praktisch. Zudem übt das Glitzern von Geld, Geschmeide und Juwelen eine besondere Faszination auf den Menschen aus. In Form von Schmuck erhöhen Edelmetalle die Attraktivität der Trägerin oder strahlen als Symbole des Herrschers Macht aus. Damit können Sie beispielsweise bei der Fortpflanzung nützliche Dienste erweisen. Unabhängig von ihrer Stellung als Geld besitzen deshalb diese Güter ebenfalls einen „Nutzwert". In diesem Zusammenhang stelle man sich ein gesellschaftliches Ereignis vor, bei dem die Schönen sich damit brüsten, dass auf Ihrem USB-Stick – unsichtbar – wertvolle Bitcoins lungern. Schwer vorstellbar, dass dies zu mehr taugt, als zu einem Partygespräch.

Dennoch könnten Bitcoins doch Geld sein. Schließlich sind die vielen umlaufenden Banknoten eigentlich auch nur wertloses Papier und dennoch Geld. Warum betrachten wir alle dieses Papiergeld eigentlich als Geld? Dies hat einen einfachen Grund. Weil der Gesetzgeber diese zu gesetzlichen Zahlungsmitteln erklärt hat. „Geld ist was gilt". Damit steht hinter diesem wertlosen Papier de facto die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Staates, welche sich in dem Willen und der Fähigkeit des Staates / Gemeinwesens ausdrückt, notfalls durch Nutzung seines Gewaltmonopols, auf die Ressourcen seiner Untertanen zuzugreifen und damit dem Geld einen (Steuer)-Wert zu verleihen. Dies kann ein vorübergehender Zustand sein. Und wenn Staaten diese Fähigkeit verlieren und die Papier-Banknoten für ungültig erklärt werden (oder Sinn frei vermehrt werden – Druckerpresse), dann sind sie kein Geld mehr bzw. wertlos.

Damit Bitcoins den Rang eines Geldes erlangen könnten, müsste ein Staat / Gemeinwesen mit Gewaltmonopol diese zu Geld erklären. Aber wer soll das sein? Und warum? Ohne den Status als gesetzliches Zahlungsmittel bleiben BC nichts anderes als eine Verrechnungseinheit, wie Miles & More-, Bahn.bonus- oder Payback-Punkte. Im Gegensatz zu BC versprechen diese „Systeme" aber wenigstens reale Güter und nicht nur die Hoffnung, andere mögen es auch morgen noch als Tauschobjekt spannend finden. Bitcoins können ein Ersatz bzw. eine Alternative für Online-Banking sein. „Zahlungshalber" wie Schecks, aber eben nicht „Zahlungsstatt" wie Gold und Banknoten. Und deshalb ist auch ein steigender Wert für eine reine „Verrechnungseinheit" absurd.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass eine der derzeit herrschenden Autoritäten sein Geld zu Gunsten eines Fantasiekonstrukts aufgeben wird. Aber auch neue politische Kräfte dürften daran kaum Gefallen finden. Denn es gibt handfeste Konstruktionsfehler bei diesem „Geld".

Durch die Ähnlichkeit der bei Bitcoins verwendeten Begriffe zu "echtem" Geld, wird die psychologische Attraktivität erhöht. Dem virtuellen Geld wird dadurch etwas Reales zuteil. So findet sich die Bezeichnung Coins (= Münzen) im Namen. Es wird vom Schürfprozess gesprochen, was eine Werthaltigkeit (= Arbeitseinsatz) bei der Entstehung dieses Kunstgebildes suggeriert.

Zunächst einmal ist die derzeitige Finanzkrise auch ein Resultat der zunehmenden Ungleichverteilung von Vermögen, was die natürliche Folge unseres Geldsystems ist. Würde man das derzeitige Geld durch Bitcoins ersetzen, ergäbe sich wieder eine enorme Ungleichverteilung. Denn bei den Bitcoins handelt es sich ja um eine endliche Menge an Byte-Geld, welches zu mehr als der Hälfte schon entstanden ist. Und dies, ohne dass die breite Masse davon etwas wusste oder sich gar am „Schürfprozess" hätte beteiligen können. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich die absolute Mehrheit dieser Bitcoins in den Händen einer kleinen Clique befindet, die unermesslich reich würde, würde aus den Bitcoins tatsächlich Geld werden. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Robert Rethfeld in seinem letzten Blog Informationen zur Verteilung gibt. Ich dachte, hier handele es sich um anonymes Geld, sicher vor dem Zugriff des Staates? Wie kann da irgendeiner wissen, wer im Besitz dieser „Währung" ist?

Gemäß der Homepage des Projektes ist die Zahl an einmal entstehenden Bitcoins auf 21 Millionen begrenzt. Gehen wir nun davon aus, dass nur die Bundesrepublik Deutschland diese als gesetzliches Zahlungsmittel einführt und alle bestehenden Verträge entsprechend umstellt. Alleine das Bankvermögen in Deutschland belief sich im Jahr 2011 auf ca. 4.800 Milliarden Euro. Teilt man diese Summe durch die Maximalzahl an jemals entstehenden Bitcoins wäre ein BC ca. 230.000 Euro wert. Im Vergleich zum aktuellen „Straßenpreis" von 150 Euro ergibt sich damit noch ein gehöriges Aufwertungspotential. Es genügt deshalb der Kauf eines einzigen BC um eine stattliche „Rendite" gegenüber allen anderen (Dummen?) einzufahren. Als Lotterie taugt das Projekt damit wenigstens ...

Ein Bitcoin ist damit aber auch ein denkbar unhandliches Instrument. Wie will man damit die Brötchen beim Bäcker bezahlen? Man muss es also teilen, wobei das mit dem Bezahlen beim Bäcker trotzdem schwierig wird, da der Verifikationsprozess auch eines Teils eines BC schon einmal 10 Minuten und länger dauern kann.

An dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Sicherheit. Hat für dieses System tatsächlich niemand einen "Nachschlüssel"? Wäre ein BC tatsächlich 230.000 Euro wert, wäre der Anreiz, den Code zu knacken oder sonst wie in das System einzubrechen / sich einzuhacken, jedenfalls sehr groß. Würde es gelingen? Kann man Bitcoins stehlen? (Ja man kann, wie der jüngste Hackerangriff bei bitcoin.de beweist) Immerhin ist damit ja ein anonymes Bezahlen möglich. Wenn ich also einen Bitcoin stehlen kann, kann man mir dies am gestohlenen Bitcoin niemals nachweisen. Eine Menge Fragen nach der Praktikabilität und der Sicherheit tauchen auf, die im Moment durch nichts anderes beantwortet werden, als durch das Versprechen der „schöpfenden Clique", dass das alles sicher und in Ordnung sei. Na dann!

Die größte Bedrohung der Bitcoins ist jedoch ihr möglicher eigener Erfolg. Denn das hinter den Bitcoins stehende „Schürfverfahren" ist alles andere als kopiersicher. Was soll irgendjemanden daran hindern, ein zweites Bitgeld zu schaffen? Oder ein drittes? Hätten diese neuen Bytecoins nicht eine gewisse Anziehungskraft? Schließlich könnte man da von Anfang an dabei sein, statt den ursprünglichen Initiatoren eine Megarendite zukommen zu lassen. Merken Sie etwas? Es dürfte im Laufe der Zeit immer mehr von diesen Bytegeld-Verfahren geben. Auch das nennt man dann wohl Inflation.

Es war schon bei der „Semper Augustus" so, dass die schönste und seltenste aller Tulpen den Preisanker gesetzt hat. Die Tulpenmanie ist auch nicht an dieser Pflanze gebrochen, sondern an der Erkenntnis, dass man Tulpen züchten und beliebig vermehren kann. Und genauso verhält es sich mit den Bitcoin auch: man kann sie züchten und beliebig vermehren. Sie haben zwar dann eine andere Farbe und andere Muster. Aber mit jeder Züchtung erkennt man ihren wahren Wert ein wenig besser.

Nach all diesen Ausführungen stellt sich mehr denn je die Frage, warum eine steigende Zahl von Menschen Gefallen an den Bitcoin finden. Sogar wahre und selbsterklärte Finanzexperten aus Banken und Medien finden sich darunter, was nach den Erfahrungen der letzten Jahre natürlich keineswegs ein Gütezeichen dieser Entwicklung ist. Zu oft schon Irrlichten die Herolde des Bank- und Börsenwesens. Diese Entwicklung ist nur erklärbar durch den Zeitgeist und die immer stärker werdende Abscheu der Masse vor einem Finanzsystem, welches nicht verstanden und zunehmend abgelehnt wird. Die Masse ist empfänglich für neue Heilsbringer. Kommen diese dann ganz „uneigennützig" mit einer .org-Webadresse und als „public domain" Projekt daher, wittert der gemeine Anleger gleich Gutmenschentum. Die Rechnung wird am Ende nicht aufgehen.

Eine besondere Versuchung übt diese Währung jedoch auf die Generation "Computerspiel" aus. Es ist nicht nur für technikafine Freaks spannend zu sehen, wie sich diese "Geld" verbreitet (siehe www.blockchain.info) und wie sich hier ein Markt bildet. Die Spieler können virtuell am Computer ein bißchen Börse spielen und dabei gleichzeitig am Establishment rütteln. Wie sehr die Bitcoins die Lust aufs Spielen fördern sieht man auch daran, dass die ersten kommerziellen Verwender des Geldes virtuelle Spielhöllen sind. Davon auszugehen, dass dieses Bytegeld einfach so wieder dorthin verschwindet, wo es hergekommen ist, sollte man deshalb nicht. Hier kann sich noch eine viel größere und damit gefährlichere Blase erst noch entwickeln!

Charles Ponzi (Quelle: Wikipedia)Doch der wahre Reiz der Bitcoins liegt an der verführerischen Qualität aller Schnellball- und Blasenbewegungen. Die schnelle Aussicht auf Gewinn und die Hoffnung, man selbst sei nicht der letzte Idiot der auf den Zug aufgesprungen ist, wirken wir der Klang der Sirenen auf den zerebralen Cortex des modernen Großstadtmenschen und setzen steinzeitliche Instinkte frei. Solange man die Bitcoins als Lotterie begreift, darf man auf einen Gewinn hoffen. Das Fatale an diesem Projekt ist, dass wir gesicherte wissenschaftliche wie praktische Erkenntnisse über den Preisverlauf solcher „Wunderwerke der Finanzalchemie" haben. Danach steigt der „Marktpreis" sogar dann noch, wenn die Mehrheit von der Wertlosigkeit am Tag x bereits überzeugt ist. Entscheidend für den Preisbildungsprozess ist die Erwartung an den „greater fool".

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