05. Juni 2013
Gestern habe ich für das Handelsblatt (Rubrik: sentix Marktradar) ein Interview zur Lage am Goldmarkt aus sentix-Sicht gegeben (siehe hier). Offensichtlich wurde dabei der Nerv der Gold-Bullen schwer getroffen. Wütende Kommentare und massive Beschimpfungen ergingen daraufhin im HB-Forum. Ich selbst erhielt u.a. eine Mail mit mehr als 21.000 Zeichen Länge. Was sagt uns das?
"Ist die Gold-Story vorbei?" lautete die eigentlich unverfängliche Überschrift des Artikels. Und diese Frage muss man ja wenigstens mal stellen dürfen. Doch selbst ein Kursrückgang von 1.900 USD auf unter 1.400 USD ficht einen waschechten Gold-Bullen nicht an. Wer sich einmal in Gold verliebt hat, der lässt es so schnell nicht mehr los. Vor allem nicht in Zeiten der "heißlaufenden Notenbank-Pressen", die ja nur Inflation, Geldentwertung und den ultimativen Goldpreis-Anstieg bedeuten können.
Was langfristig aus Gold, dem Papiergeld oder der Welt wird, soll hier nicht erörtert werden. Dies liegt außerhalb des Prognosespektrums der sentix-Umfrage. Aber die Empörung, die schon die leisesten Zweifel an einem weiteren Goldpreis-Anstieg auslöst, ist ein Weckruf für den Sentimentanalysten und Contrarian. Im Folgenden möchte ich einige der am meisten gepflegten Gold-Mythen hinterfragen.
Physisches Gold ist alles, "Papier-Gold" ist nichts
Der Preisrutsch der letzten Wochen wurde maßgeblich von Verkäufen am Derivatemarkt bzw. von Gold-ETFs ausgelöst. Die physische Nachfrage habe nicht gelitten, im Gegenteil. Es gäbe einen regelrechten Run auf physische Ware, was die tatsächliche Angebots / Nachfrage-Situation spiegele. So die Gold-Bullen.
Dazu bleibt festzuhalten: Es existiert eine Arbitragebeziehung zwischen Kassa- und Derivatemarkt. Die Futures an der Comex beispielsweise verkörpern physische Lieferansprüche. Es gilt hier erst den Beweis zu erbringen, dass ein Investor auf diesem Weg nicht an physische Ware kommen könnte. Bis heute bleibt festzuhalten, dass der Preis trotz vermeintlicher Knappheit fällt. In einem funktionierendem Markt ist so etwas unmöglich und es steht zu bezweifeln, dass dies auch auf einem manipulierten Markt funktionieren würde. Doch die Gold-Bullen leugnen die Realität des Preises und ersetzen es durch das ultimative, weil nicht zu beweisende Gegenargument, dass nur eine Verschwörung hieran schuld sein könnte.
Auch Produkte, wie Xetra-Gold oder Euwax Gold, verkörpern physische Lieferansprüche. Wenn ich im Gold-Shop meines Vertrauens angeblich in der Schlange stehen muss, nur um dann keine Ware zu bekommen, könnte man doch einfach eines der Papier-Gold-Produkte kaufen und es zu Gold machen. Warum geschieht dies nicht?
Wenn die physische Ware so heiß begehrt ist, warum liegen dann die Ankaufskurse für physisches Gold unter dem Gold-Preis, der ja angeblich manipuliert ist? Bei Silber liegt dieser sogar beträchtlich unter dem Kassakurs!
Die Derivate-Börsen stehen vor dem Kollaps
War die Schließung der Hong Kong Mercantile Exchange nur das Vorbeben, welches den nahenden Zusammenbruch der Gold-Börsen ankündigt? Schließlich fallen die registrierten Gold-Bestände in den Londoner Lagerhäuser, so dass womöglich bald kein Gold-Future mehr physisch beliefert werden kann.
Zur HME ist zu sagen, dass es sich hierbei um eine sehr kleine Börse gehandelt hat, die schließen musste, weil die Einnahmen zu gering waren, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Diese mit der Comex zu vergleichen, erscheint gewagt. Auch ist keineswegs sicher, dass die Pleite "fingiert wurde, um physische Lieferansprüche zu hintergehen". Die paar Kontrakte hätten auch über andere Märkte beliefert werden können. Aber es ist nun einmal das Wesen jeder Verschwörungstheorie, dass immer das perfide, hintergründige als wahrscheinlich angesehen wird, statt das pragmatisch, naheliegende.
Der Rückgang der registrierten Bestände an der Comex ist in der Tat - vordergründig - auffällig. Aber ist es dies wirklich oder ist es nur auffällig, wenn man sich chronisch an einen Bullview klammert. Denn diese Entwicklung könnte eng mit dem Abverkauf in Gold-ETFs (dem irrelevanten Papier-Gold...) zusammenhängen. Denn diese ETF verfügen (a) über physische Bestände und (b) müssen immer wieder die Mittelzu- und -abflüsse kurzfristig über Futures abfedern, um die Preisentwicklung des Underlyings nachzubilden. Wenn diese ETF nun massiv Anlagegelder verlieren, geben diese (a) physisches Material (!) in den Markt und (b) benötigen weniger lieferfähiges Material für die Futuregeschäfte. Aber auch diese Erklärung ist den Gold-Bullen wahrscheinlich zu banal.
Zudem war in der Vergangenheit, eine hohe Korrelation zwischen steigendem Goldpreis und steigenden Beständen auszumachen. Dies dürfte ganz wesentlich mit dem steigenden Open Interest in einem Bullenmarkt zusammenhängen. Seit 2001 ist das Open Interest im Goldmarkt stetig von ca. 100.000 auf über 600.000 Kontrakte im Jahr 2010 (!) gestiegen. Seitdem fällt das offene Interesse und liegt aktuell bei ca. 420.000 Kontrakte. Auch ist die Nettopositionierung zuletzt stark gesunken und damit hat sich die Polarisierung im Markt zwischen kommerziellen Hedgern und Spekulanten verringert. Es dürfte also ein deutlich sinkender Bedarf an zu lieferndem Material bestehen.
Die Geldmengen explodieren, also steht der Zusammenbruch der Währung bevor
Die Bilanzsummen der Notenbanken haben sich seit Beginn der Finanzkrise tatsächlich deutlich erhöht. Die Erhöhung der Geldbasis bedeutet jedoch nicht in gleicher Weise eine Erhöhung der Geldmenge - und sie bedeutet auch nicht automatisch Inflation.
Erstens ist zu betrachten, auf welche Art und Weise die Geldbasis erhöht wird. Ein sicheres Zeichen für inflationäre Gefahren wäre der Druck von Geldscheinen. Dies ist jedoch nur ein Teil der Geldbasis. Darüber hinaus geben die Notenbank über Refinanzierungsgeschäfte Liquidität in der Markt oder durch den Ankauf von Schuldtiteln am Sekundärmarkt. Wird diese neue Liquidität jedoch wieder bei der Notenbank geparkt oder durch andere Geldmarktoperationen wieder vom Markt genommen ("sterilisiert"; dies macht z.B. die EZB), führt die erhöhte Geldbasis nur begrenzt zu steigenden Geldmengen nachfolgender Stufen.
Tatsächlich wachsen die Aggregate M1-M3 weit weniger stark als die Geldbasis. In Euroland wächst die Geldmenge M1 derzeit mit einer Jahresrate von ca. 8,7%. In früheren Expansionsphasen lag diese Rate bei deutlich > 10% (2003-2004, 2009), der monetäre Transmissionsmechanismus arbeitet demnach nicht mit gleicher Effizienz wie früher. Gebracht hat es damals vor allem eine konjunkturelle Belebung, aber nicht unbedingt hohe Güterpreisinflation! M1 wächst in Euroland auch stärker als M3, was bedeutet, dass die expansive Geldpolitik im Wesentlichen die Assetmärkte, nicht aber die Realwirtschaft erreicht. Wenn wir von Inflationsgefahren reden, dann gilt dies vor allem für die Anlagemärkte, nicht aber für die Gütermärkte. Steigende Aktienmärkte sind deshalb der größte Feind des Goldes, da hier eine produktive Sachwertanlage mit einer unproduktiven Goldanlage konkurriert!
In den USA sinkt derzeit sogar die M1 Wachstumsrate von >20% (in 2011) auf aktuell ca. 12%. Auch wenn dies noch immer eine leicht überdurchschnittliche Expansionsrate ist, so bleibt zumindest festzuhalten, dass auch die FED derzeit nicht mehr Gas gibt als noch in 2011. Gleiches gilt für M2, die derzeit nur noch mit rund 7% wächst. Auch in den USA kommt demnach die Geldpolitik nur erheblich gedämpft in der Realwirtschaft an.
Weit wichtiger ist jedoch, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes im Trend weiter rückläufig bleibt. Zwei Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen
- Die Realwirtschaft weist niedrige Inflationsgefahren auf
- Sobald die monetäre Stimulierung auslaufen würde, wären sofort starke deflationäre Wirkungen zu verspüren
Das Sentiment ist schlecht
Laut Auskunft der Gold-Bullen ist das Sentiment schlecht. Wie kommen diese darauf? Ganz sicher ist dieses nicht aus den sentix Daten ableitbar, welche anerkannter Maßen die repräsentativste Anlegerbefragung sind. Aktuell notiert das Sentiment im neutralen (!) Bereich. Auffällig ist jedoch die Positionierung gemäß den COT-Reports. Betrachtet man die letzten 2 Jahre, dann liegt bezogen auf die eigene Historie eine massive Unterinvestierung (also niedrigste Positionierung seit zwei Jahren) vor. Doch dies stellt gerade einmal eine absolut betrachtet neutrale Positionierung des Marktes dar. Rechnet man die Z-Scores, also die Positionierung relativ zur eigenen Historie der Positionierungsdaten, seit Anfang der Datenreihen, dann ist die aktuelle Positionierung gerade einmal neutral!
Zwei weitere Faktoren sprechen gegen die Aussage, das Sentiment sei schlecht:
- Es besteht bei den Fans des Goldes eben keine Empörung über die fallenden Preise, sondern Empörung über diejenigen, die auf Probleme hinweisen (= keine Kapitulationsstimmung, sondern Leugnen im Sinne des sentix Stimmungszyklus). Dieses Leugnen des Abwärtstrends steht typischerweise für die erste Phase (!) eines Abwärtstrends, nicht für dessen Ende. Zudem fällt den Gold-Bullen im Gold-Chart ein möglicher Doppelboden bei 1.320 auf, nicht aber die gebrochenen Trends und die strategisch verheerende Wirkung des Bruchs der 1.560 USD-Marke im Gold-Chart. Ebenso wenig wird kommentiert, dass die Erholung des Goldpreises in den letzten Wochen, angesichts des zuvor gemessenen hohen Pessimismus (und der angeblichen Short-Positionierung und der angeblichen hohen physischen Nachfrage!), bislang erschreckend schwach ausgefallen ist. Das sollte zu denken geben!
- Wir messen eine signifikante Divergenz zwischen dem Gerede von Gold als Schnäppchen und dem Strategischen Bias einer repräsentativen Anlegerschaft, der im Trend bei fallenden Preisen gedrückt bleibt, Das sollte zu denken geben!
Fazit
Diese Analyse soll keine Aussagen zur langfristigen strategischen Qualität von Gold geben, sondern einfach die vielfältigen Sentimentsignale, die für Probleme im Goldmarkt sprechen, objektiv betrachten und den emotionalen, gerade zu hysterischen Aussagen der Gold-Bullen entgegengesetzt werden. Gold erzeugt Emotionen. Es ist eine der Stärken des gelben Metalls, dass es eine große Anziehungskraft ausübt. Anleger sollten aber die Lage rational betrachten und immer bereit sein, den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen.
Wer an Gold "glaubt" und, wie es ein Kommentator im Internet schrieb, "niemals sein Gold verkaufen werde", den brauchen solche Analysen eigentlich nicht zu interessieren. Ich frage mich, warum diese Leute sich überhaupt für die Preise interessieren. Diese Leute müssen dann aber auch die Frage beantworten, von was sie "ihr tägliches Brot" denn bezahlen, wenn sie ihr Gold niemals verkaufen. Bislang ist dazu immer noch der Rücktausch in Euro, Dollar und Co. nötig. Und spätestens da treffen dann auch die Gold-Bugs wieder auf die Realität.