27. Mai 2011
Axel Weber, ehemaliger Bundesbank-Chef, bringt es heute im Handelsblatt auf den Punkt: "Die Euro-Krise ist keine Krise des Euro, sondern eine Schuldenkrise einzelner Länder". Das sehen wir genauso. Was er auslässt: diese Krise ist eine Krise der europäischen Politik - und ein Stück auch der Wirtschaftswissenschaften, denn umsetzbare Lösungen sind scheinbar nicht existent.
Was sind nochmals stichpunktartig die diskutierten Lösungsvarianten für Griechenland:
- Mehr Kredite des EFSF, mehr Zeit - und hoffentlich ein paar gelungene Privatisierungen (derzeit favorisiert)
- "Sanfte" Umschuldung, auf freiwilliger Basis (wird mangels Anreizen nicht passieren)
- "Harte" Umschuldung mit Schuldenschnitt (diverse Ausgestaltungen möglich - "Brady", "Rückkauf", "Investor-Put (sentix)"; lange unser Favorit, aber mangels Rückgewinnung der Wettbewersfähigkeit nicht unbedingt mehr erste Wahl)
- Austritt Griechenlands aus dem Euro (ökonomische Katastrophe, die nichts erreicht, da dies nur in Verbindung mit einer harten Umschuldung machbar wäre und bereits vorher durch eine unkontrollierte Kapitalflucht massive Kollateralschäden entstünden; die "Sinn"-haftigkeit erschließt sich mir nicht!)
Bei genauem Überlegen gäbe es noch eine weitere Möglichkeit, die bislang nicht diskutiert wird, da sie politisch mit Sicherheit sehr unkorrekt ist. Aber wahrscheinlich wäre sie nicht unpopulär: der Austritt der alten D-Mark-Zone (zzgl. Finnland) Deutschland, Niederlande, Finnland und Österreichs aus dem Euro!
Diese Lösung wäre gegenüber eines Austritts Griechenlands weniger problembehaftet:
- als Umrechnungskurse könnte man problemlos die damaligen Eintrittskurse verwenden
- alle Inlands-Verträge würden zu diesem Kurs in den NEuro (man beachte das Wortspiel: NEuro = Neuer Euro oder Nord-Euro) umgestellt
- bei Auslandsverträgen ist der Sitz des Schuldners massgebend: Bei NEuro-Ländern Umstellung auf NEuro, bei Rest-Euro-Ländern bleibt es bei Euro und für alle anderen geht es auch auf den NEuro
- kein Kollaps von Banken im Alt-Euro-Raum, Abschreibungsbedarf bei Banken im NEuro-Raum, der aber zu schultern wäre (= faktisch Haitcut)
- Abwertung des Alt-Euros führt zu steigender Wettbewerbsfähigkeit (allerdings J-Kurven-Effekt bedenken)
- Aufwertung des NEuro ja, aber auch massiver, realer Kaufkraftgewinn im NEuro-Raum und damit wahrscheinlich Boom der Inlandskonjunktur
Es gibt auch mehrere kritische Punkte bei diesem Vorschlag und die zwei wesentlichsten sind: Frankreich und Belgien. Was machen wir mit denen? Vom Schuldenstand ist Belgien eher Alt-Euro-Kandidat, passt aber von seiner Wirtschaftsstruktur auch in den NEuro-Raum. Frankreich dagegen gehört seiner wirtschaftlichen Tradition gemäß eher in den Alt-Euro. Aber kann / darf man so einen Keil zwischen Deutschland und Frankreich treiben? Politisch korrekt ist der Vorschlag also nicht.
Der Vollständigkeit halber gehört es sich aber für Ökonomen, alle Varianten zu durchdenken - und für Behavioristen allemal. Denn es gibt viele psychologische "Feinde", welche eine Lösung der Schuldenkrise erschweren (Entscheider aufgepasst):
- "sunk cost effect" - unsere Neigung, weiterzumachen, weil man schon so viel investiert hat
- "status quo bias" - jetzt haben wir den Euro, jetzt müssen wir ihn auch verteidigen
- "Autoritätshörigkeit" - was die hohen Herren Zentralbanker, Politiker und Professoren sagen, muss ja stimmen
- "illusion of control" - weil man vermeintlich etwas zu entscheiden hat, glaubt man Kontrolle zu haben
Die Top-Entscheider dieser Krise sollte jedoch aufpassen: da alle Lösungsansätze - so scheint es bisher - entweder in die ökonomische oder politische Krise münden, besteht die Gefahr des Kontrollverlustes. Bürger und Politiker könnte der Geduldsfaden reißen und dann wären "emotionale Entscheidungen" denkbar. Wir sollten deshalb den Geduldsfaden nicht überdehnen!